D wie Demografie – was uns auf dem Arbeitsmarkt noch erwartet

Trotz der negativen Prognosen für den deutschen Arbeitsmarkt gibt es vielfältige Möglichkeiten, auf den Demografie-Wandel zu reagieren, um die entstehende Arbeitskräftelücke effektiv zu schließen.

Demographie und Arbeitsmarkt in Deutschland - Ein Lehrling und sein Meister bei der Ausbildung.

In diesem Gastbeitrag thematisiert der Personalexperte Stephan Boehnke nicht nur die Herausforderungen des Arbeitsmarktes, sondern zeigt auch mögliche Lösungsansätze auf. Von der Aktivierung schlummernder Potenziale bis hin zur Erschließung neuer Potenziale durch die Digitalisierung könnte der Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt trotz negativer Demografie-Prognosen aufgefangen werden.

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Ich erinnere mich noch gut an Zeiten, in denen wir Personaler beim Thema Fachkräftemangel müde belächelt wurden. Manchmal wurde uns sogar vorgeworfen, wir wollten uns unnötig wichtig machen. Nun, das war einmal und heute ist nicht nur der Fachkräftemangel, sondern auch der Arbeitskräftemangel ein Top-Thema in fast allen Branchen. „Ist das nicht dasselbe?“, mag sich der eine oder andere fragen. Nein, beim Fachkräftemangel sprechen wir von einem Mangel an hochqualifizierten Fachkräften, beim Arbeitskräftemangel fehlen auch Ressourcen in weniger qualifizierten Bereichen. Bestes Beispiel ist hier das Hotel- und Gaststättengewerbe.

Der Arbeitsmarkt braucht durchdachte Lösungen

Was hat nun der Arbeitsmarkt mit Demografie zu tun? Schon heute fehlen uns Arbeitskräfte, weil die Bevölkerung immer älter wird. Es scheiden mehr Menschen aus dem Erwerbsleben aus als nachrücken. Allein in Deutschland werden wir bis 2035 rund sieben Millionen Arbeitskräfte verlieren, weil bis dahin rund 13 Millionen Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, aber nur sechs Millionen nachrücken. Da es sich um einen europaweiten Trend handelt, verschärft sich das Problem.

Trotz der negativen Prognosen für Demografie und Arbeitsmarkt in Deutschland gibt es mehrere Möglichkeiten, die Arbeitskraftlücke effektiv zu schließen.

1. Ruhende Potenziale nutzen

Aus meiner Sicht gibt es drei Zielgruppen. Zunächst die Menschen, die derzeit nicht erwerbstätig sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Hauptgrund ist die fehlende Qualifikation. Leider gibt es in Deutschland eine recht hohe Zahl von Menschen, die keinen Schulabschluss haben (4,0 Prozent der über 15-Jährigen)1. Gleichzeitig gibt es viele Tätigkeiten, die keinen formalen Schulabschluss voraussetzen und nach einer entsprechenden Anlern- und Einarbeitungszeit gut zu bewältigen sind. Hier sind die Unternehmen gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Auf der anderen Seite sollten natürlich auch aktiver und gezielter Möglichkeiten geschaffen werden, Schulabschlüsse nachzuholen.

Einige werden erwidern: „Das haben wir doch schon, nur tut es kaum jemand!“ Wenn dem so ist, gehen die gewählten Maßnahmen wahrscheinlich an der Zielgruppe vorbei. Man muss also offen sein, neue Wege zu gehen, alternative Maßnahmen zu entwickeln und anzubieten. Das Gießkannenprinzip hilft hier nicht weiter, denn jeder Mensch ist individuell. Daher können auch nur individuelle Maßnahmen erfolgreich sein.

Eine weitere Gruppe sind Menschen, die geringfügig beschäftigt sind oder aufgrund bestimmter Rahmenbedingungen „nur“ einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Wenn es uns gelingt, die Beschäftigungsquote dieser Personen zu erhöhen, erschließen wir uns einen zusätzlichen Talentpool. Das geht aber nur, wenn in den Unternehmen die entsprechenden Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Hier ist ein hohes Maß an Flexibilität gefragt, nur dann kann man dieser Zielgruppe ein attraktives Angebot machen.

Eine dritte Gruppe sind ältere Menschen, die eigentlich schon ihren Ruhestand genießen könnten. Hier gibt es durchaus ein größeres Potenzial an Menschen, die an einer weiteren Erwerbstätigkeit interessiert sind. Die große Herausforderung hier: „Diese Menschen sind in der Regel durch ihre Rente wirtschaftlich abgesichert“. Sie müssen also nicht arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sie wollen arbeiten und damit gebraucht werden. Eine weitere Motivation ist die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte, die sie nicht verlieren wollen. Arbeitgeber:innen müssen sich somit auch hier auf die besonderen Bedürfnisse dieser Menschen einlassen. Ansonsten wird es nicht gelingen, diese Zielgruppe für sich zu gewinnen.

2. Erschließung neuer Potenziale durch Digitalisierung

Unser Beratungsschwerpunkt „Digitalisierung“ darf natürlich nicht vernachlässigt werden. Die Unternehmen werden verstärkt darauf achten, ihre Organisationen zu entlasten, indem sie Prozesse digitalisieren und automatisieren. Das Potenzial ist enorm. Das Spannende daran ist, dass wir mit modernen Technologien – wie der künstlichen Intelligenz (KI) – in der Lage sind, Tätigkeiten auch im Kontext hochqualifizierter Aufgaben von Maschinen bzw. Programmen ausführen zu lassen. Auch wenn es sich dabei nur um Teilaufgaben oder Zuarbeiten handelt, wird die Ressource Mensch geschont und Arbeitskapazitäten können entweder eingespart oder für andere Tätigkeiten genutzt werden.

Ich empfehle daher, frühzeitig – am besten schon jetzt – mit der Gestaltung eines digitalen Personalmanagements zu beginnen. Zum einen wollen Sie möglichst schnell von den Vorteilen profitieren, zum anderen benötigen Sie bei der Gestaltung solcher Maßnahmen das Know-how derjenigen, die in absehbarer Zeit altersbedingt aus dem Unternehmen ausscheiden.

Mit der Digitalisierung wird es aber auch neue Anforderungen an die Beschäftigten geben. Die Stärkung der digitalen Kompetenz ist daher ein absolutes Muss. Gerade beim Einsatz von KI wird man Menschen benötigen, die in der Lage sind, die entsprechenden Aufgabenstellungen gut zu formulieren. Somit könnten Linguisten bald in den Fokus von Recruitern rücken. Unternehmen sollten sich auf solche Veränderungen rechtzeitig vorbereiten.

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3. Unterstützung durch ausländische Fach- und Arbeitskräfte

Ein Thema, das uns auch in der täglichen Beratung beschäftigt, ist die Gewinnung von Fach- und Arbeitskräften aus dem Ausland. Da die beschriebene demografische Situation nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa betrifft, ist es sinnvoll, über den europäischen Tellerrand hinauszuschauen. Erfreulicherweise ist Deutschland für viele Menschen im Ausland durchaus attraktiv. Die größte Hürde sehen wir derzeit noch in der ausufernden Bürokratie in Deutschland. Viele Unternehmen lassen sich davon noch abschrecken. Doch der Aufwand lohnt sich. Nicht nur die Qualifikation und Motivation der Fachkräfte aus dem Ausland ist eine Bereicherung für jedes Unternehmen. Vor allem die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe und die damit verbundene Vielfalt an Perspektiven, Lösungsansätzen und Innovationspotenzialen können für ein Unternehmen von großem Nutzen sein. Die gute Nachricht: Inzwischen gibt es professionelle Dienstleister, die den Behördendschungel bewältigen und bei der Beschaffung durch gute internationale Netzwerke unterstützen. Auch wir sind hier aktiv und unterhalten einen engen Kontakt zu einer deutschen Sprachschule in Hanoi, die hautsächlich Pflegepersonal zu einem guten deutschen Sprachniveau entwickelt und somit auf die Vermittlung in den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet. Wer hier Bedarf hat, kann sich gern an uns wenden.

Auf den ersten Blick mögen die zusätzlichen Kosten für solche Integrationspartner abschrecken. Aber je nach Datenlage ist dieser Weg günstiger, als Monat für Monat Anzeigen auf diversen Portalen zu schalten und die Rekrutierungsteams in den Wahnsinn zu treiben. In elf Jahren stehen wir vor einem Arbeitskräftemangel von 7 Millionen Menschen. Es führt kein Weg daran vorbei, Prozesse und Budgets an die neuen Beschaffungsmethoden anzupassen.

Mehr zum Thema Demografie und Arbeitsmarkt

Dieser Beitrag soll einen kleinen Einblick in die Demografie und ihre Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt geben. Natürlich gibt es viele verschiedene Lösungsansätze, von denen ich drei etwas näher beleuchtet habe. Wenn Sie Ihre Unternehmenssituation unter diesem Aspekt genauer betrachten und frühzeitig auf den Fachkräftemangel reagieren möchten, können Sie sich gerne an mich und meine Personalberatung wenden: Stephan Boehnke HR Personalberatung & Training.

Quellen

  1. Bundeszentrale für politische Bildung: Soziale Situation in Deutschland – Bildungsstand der Bevölkerung (aufgerufen am 22.4.2024) ↩︎
Bild: Pexels.com
Stephan Boehnke

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